Yoga-Knigge
Letztens sagte mir eine neue Yoga Teilnehmerin, dass sie es gut findet, dass man in meinen Lektionen Wasser trinken darf.
Sie hatte es erlebt, dass es in anderen Studios verboten war, während dem Unterricht einen Schluck Wasser zu trinken.
Ein anderer Yogi, welcher fleissig online mit mir übt, weil er in Basel wohnt, war das erste Mal bei mir im Studio. Er fand es spannend, dass ich ab und zu eine Frage stelle.
Oder dass ich im Unterricht auch dazu aufmuntere, mir Fragen zu stellen, wenn etwas unklar ist.
Er kannte dies von anderen Lektionen weniger und holte sich anschliessend einen Tipp dazu, wie man vom Nach-unten-schauenden-Hund einen Fuss bequem nach vorne holen kann, falls man verkürzte Beinrückseiten hat.
Dies war eine Frage, welche ihn schon länger beschäftigte.
Und er war ganz happy über das Erfolgserlebnis, nach dem er den Tipp angewendet hatte.
Rückblick
Meine Ausbildung absolvierte ich bei einer sehr strengen Yoga-Schule. Wir waren eine grosse, bunt zusammengewürfelte Truppe aus der ganzen Welt. Der Unterricht wurde in Englisch abehalten und wir hatten sogar zwei gehörlose Teilnehmerinnen mit dabei.
Wir durften keine Hilfsmittel wie Decken, die Wand, Kissen, Blöcke oder Gurte verwenden.
Eine Yoga Einheit dauerte inklusive intensiven Atemübungen und Meditation zwei Stunden. Wasser zu trinken war nicht erlaubt.
Die vorherrschende Meinung war, dass sich der Körper der Haltung anzupassen hat und nicht umgekehrt. (Du kannst dir vorstellen: Ich hatte Fragen…).
Wir folgten einer strengen Ernährung ohne Fisch, Fleisch, Eier, Pilzen, Knoblauch, Zwiebeln, Koffein, Alkohol und mit sehr wenig Zucker. Es gab nur zwei Mahlzeiten pro Tag um 10.00 und 18.00 Uhr.
Den Kaffee vermisste ich am meisten! In weiser Vorraussicht hatte ich bereits vor dem Teacher Training auf koffeinfreien Kaffe umgestellt.
Denn selbst bei nur drei Tassen Kaffee pro Tag melden sich die Kopfschmerzen sofort beim Weglassen des Kaffees.
Dann noch in den Kopfstand und man verflucht die Welt. (Und Fluchen war auch nicht erlaubt.)
Wifi wurde nur für eine kurze Zeit am Tag freigeschaltet. Der sonstige Natel-Empfang war sehr bescheiden.
Wir hatten nur einen halben Tag in der Woche „frei“, wurden mit dem Hahnkrähen geweckt und sanken erschöpft ins Bett um 23.00 Uhr.
Trotzdem war die Ausbildung eine unglaubliche Bereicherung für mein Leben und meine Yogapraxis.
Ich lernte die gemeinsamen Schweige-Spaziergänge im Wald sehr zu schätzen.
Der äusserst strukturierte Tagesablauf war ein Segen zu meinem sonstigen Schicht-Arbeitsalltag. Und brachte auch Ruhe in die Gedanken.
Das tiefe Eintauchen in die Yoga-Welt war ohne Ablenkung sehr gut möglich.
Es wurden länderübergreifend Freundschaften geschlossen, spannende Gespräche geführt und sich gegenseitig untersützt.
Mit einer slowenischen Kommilitonin ging ich jede Nacht nach draussen und wir legten uns auf die Wiese. Wir bestaunten den Nachthimmel, suchten Sternbilder und hielten Ausschau nach Sternschnuppen.
Für mehrere Wochen verschrieb ich mich so ganz dem zurückgezogenen Ashram-Leben in der Yoga-Gemeinschaft.
Einzig das inbrünstige Mantra-Singen mochte ich bis zum Schluss nicht.
Verschiedene Arten des Unterrichts
Während der Ausbildungs-Erfahrung wurde mir jedoch auch bewusst, dass dies nur eine Art des Yoga-Unterrichtens darstellt.
Es gibt unzählige Stile, Varianten und Hybrid-Formen im Yoga.
Viele davon durfte ich mit der Zeit testen, erfahren und geniessen.
Wenn ich in den Ferien bin, egal wo und welche Sprache gesprochen wird, melde ich mich an für eine Yoga-Lektion.
Es ist sehr spannend, die Unterschiede wahrzunehmen, voneinander zu profitieren und auch zu bemerken, was man selber mehr oder weniger mag.
Und vor allem: dass jedes Studio und jeder Yoga-Stil gewissermassen seinen eigenen Yoga-Knigge hat.
Mein Lieblings-Studio in Portland, Maine (USA) hatte die eigenen Werte, Überzeugungen und Benimmregeln sogar auf eine Kreidetafel im Eingangsbereich notiert.
Nachfolgend einige meiner persönlichen Überzeugungen zum Yogaunterricht: 🤗
– Während dem Unterricht Wasser oder Tee zu trinken ist absolut in Ordnung.
– Komm auf die Matte, wie du gerade bist. Egal, ob Muskelkater nach dem Joggen, müde von der Arbeit, genervt vom Stau, voller Vorfreude auf die Lektion, müde von einer durchgemachten Nacht (Party oder Kids)… Du bist richtig so, wie du bist.
– Du darfst alles mitmachen, musst aber nicht. Es gibt Hilfsmittel, Alternativen bei den Übungen, es gibt Entlastung für die Knie und am Ende der Lektion immer eine wohlverdiente Schlussentspannung.
– Fragen zu stellen ist absolut ok. Wenn du etwas nicht richtig verstanden hast, aber auch, wenn du mehr Inputs oder Hilfestellung brauchst.
– Die Haltung soll dem Körper angepasst werden und nicht der Körper in eine Position gepresst werden.
– Yoga ist für alle: Egal, ob du dich als beweglich oder unbeweglich bezeichnest, egal ob du in einem kleinen/ grossen/ fülligen oder dünnen Körper wohnst, egal ob es deine erste oder hundertste Lektion ist…
Am Ende geht es um die Verbindung mit dir selbst. Darum, Achtsamkeit zu trainieren, durchzuatmen und dich zu bewegen.
Und auch um die Verbindung mit anderen, den gegenseitigen Austausch und die Erkenntnis, dass wir eigentlich tief im Kern alle gleich sind.
Wie siehst du das? Wie geht es dir damit? 🤗
Antworte mir gerne, ich freue mich auf deinen Austausch! 😃
📸 Foto von http://www.photo-fischer.ch