Über’s Abschied nehmen und Loslassen

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16/08/2022



Letzte Woche ist mein Urgrossmami „Mueti“ gestorben im Alter von stolzen 102 Jahren.

Dies wird kein trauriger Beitrag werden. Sondern ein liebevoller Nachruf und eine Erinnerung an eine starke und liebenswürdige Frau, die in ihrem Leben viel bewirkt hat… auch im yogischen Sinn. 🥰

Du darfst also gerne weiterlesen. ☺️🌟

Mein Urgrossmami Martha wurde im März im Jahr 1920 geboren und hatte direkte polnisch-russische Vorfahren. Ihre Mutter hiess Wyrwa Wladyslawa und war Polin. Noch heute sind entfernte Verwandte von uns in der Stadt Łódź in Polen zu Hause.

Den persönlichen Nachruf habe ich in einer Briefform an Mueti verfasst.


Liebs Mueti

Du hattest ein strenges und praktisches Leben.
Trotzdem hast du immer ein Lächeln auf den Lippen getragen. Du bist stets positiv und fröhlich durch’s Leben gegangen. Und dein trockener Humor lässt mich heute noch in Gedanken daran laut auflachen.

Dein Lachen kam von Herzen und war überaus ansteckend. Dabei hast du jeweils den Kopf zur Seite geneigt, eine Schulter hochgezogen und über’s ganze Gesicht gestrahlt.
Auch mit über 100 Jahren bist du im Geist sehr jung geblieben und ich hatte das Gefühl, ich sehe die 20-jährige Martha vor mir sitzen, wenn du gekichert hast.

Am liebsten hattest du deine Wohnung auf dem Bauernhof in Escholzmatt voll mit Verwandten, Kindern und Tieren…

Du hast jeweils gemütlich mit deinem Milchkaffee im Sessel im „Stübli“ gesessen, in dem wir zusätzlich noch zwei Festbankgarnituren aufgestellt hatten, damit alle von unserer Grossfamilie Platz hatten.

Am Boden sah man unzählige Spielsachen verstreut, Lego-Bausteine lagen herum, Kinder krabbelten unter dem Festbank durch und hüpften über die Couch.

Aus der Küche strömte der Duft von leckerem Essen, welches deine Kids (das heisst: meine Grosseltern, Grosstanten- und onkel) zubereitet haben. Währenddessen hast du gemütlich mit deinen Verwandten geplaudert. Zum Dessert gab es jeweils Unmengen an feinsten Guetzli, Lebkuchen und Torten, die jeder selbst gebacken und mitgenommen hatte.

Du hast immer alle von Herzen eingeladen bei dir zu sein, zum Essen zu bleiben oder natürlich auch gleich zu übernachten.

Vor allem hast du Partys geliebt. Bei jedem erdenklichen Fest (und davon gab’s viele: Hochzeiten, Taufen, Weihnachten, Ostern, Geburtstage…) warst du die erste auf der Tanzfläche und hast das Tanzbein geschwungen bis ins höchste Alter.

Mit über 90 Jahren warst du noch im Europapark, unter anderem auf der „Eurosat“ Dunkelachterbahn! Auch Reisen und Wandern hast du geliebt. Ein Wort genügte und du hattest bereits dein Köfferchen gepackt und warst startbereit.

Du warst in hohem Mass flexibel, bist mit der Zeit gegangen und konntest jeden Moment geniessen.

Dein Mann und mein Urgrosspapi „Dädi“ ist bereits gestorben, bevor ich auf die Welt kam, so habe ich dich immer als klares Oberhaupt der ganzen Familie erlebt.

Bei dir im „Bahus“ kamen wir alle zusammen mit Kind und Kegel, Tumult, Lärm, spannenden Gesprächen, regem Austausch, viel leckerem Essen und vor allem wurde viel gelacht.

Und dies mit:
– 9 Kindern (alle 9 hast du bei Hausgeburten zur Welt gebracht im Zeitraum zwischen 1940 und 1960…allein dies übersteigt meine Vorstellungskraft…)
– 15 Grosskindern
– 22 Urgrosskindern, eines davon bin ich 😉
– 5 Ur-Urgrosskindern

Egal welche Lebenssituation sich dir bot, du hast das Leben so genommen, wie es kommt und das Beste aus jeder Situation gemacht.

Das Allerschönste an dir: Du hast jeden und jede so angenommen, wie er oder sie ist. Man musste dir nichts beweisen und durfte einfach sich selbst sein und man war immer, wirklich immer, willkommen.
Du konntest über die kleinen Dinge staunen, hast Tiere geliebt und viele vierblättrige Kleeblätter gefunden.

Als du Anfang diesen Jahres in das Pflegeheim Sunnematte in Escholzmatt gezügelt bist, meintest du zu einer Pflegerin: „Weisch, ech be äbe en Zächi!“

Mit deiner lieben, humorvollen, fröhlichen, starken und resilienten Art hast du uns alle immer wieder zum Staunen gebracht. Und bist für mich ein wahres Vorbild.

Mueti, ich vermisse dich und nehme in tiefster Dankbarkeit Abschied.

Du warst eine wahre Yogini, ohne jemals Yoga geübt zu haben. Andere brauchen Jahre, um an diesen Punkt zu gelangen.

Du hingegen hast diese Qualitäten spielend gelebt und verkörpert und warst stets ganz dich selbst.

Mueti, du hast gerockt!

Von ganzem Herzen,
Selina ❤️


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